Mindestens³ - Ein Ass im Ärmel? Oder doch lieber sieben im Set?

Frank Lüttschwager • 12. Juni 2025

Warum min-min-min-Aufgaben mehr Denkfehler enthalten, als man glaubt – und wie man sie mit Binomialverteilung, Bernoulli-Formel und etwas Kombinatorik trotzdem elegant löst.


Zugegeben: Für manche bleibt das trotzdem immer max laaaangweilig.



Einstieg: Die Sache mit dem mindestens³


Mindestens einmal ein Ass. Mit mindestens 90 % Wahrscheinlichkeit. In einem Kartenspiel mit 32 Karten, davon genau vier Asse.

Klingt harmlos? Ist es nicht. Willkommen bei der min-min-min-Aufgabe.


Wie oft muss ich mindestens ziehen, um mit mindestens 90 % Wahrscheinlichkeit mindestens ein Ass zu erwischen?


Experten nennen sie augenzwinkernd die mindestens³-Aufgabe. Schüler nennen sie: maximal langweilig.


Aber unterschätzen sollte man sie nicht.

Denn wer hier falsch denkt, rechnet komplett vorbei – und merkt es manchmal nicht einmal.

Was harmlos aussieht, ist in Wahrheit ein kleiner Denkparcours aus Wahrscheinlichkeitsumformung, Binomialverteilung und versteckter Gegenwahrscheinlichkeit.


In diesem Artikel klären wir:


  • Wie man solche Aufgaben systematisch knackt
  • Warum sie nur mit Zurücklegen überhaupt binomial sind
  • Was ein Binomialkoeffizient wirklich bedeutet
  • Und wie viele Asse ein Fallspieler heimlich ins Spiel schmuggeln müsste, damit seine Wette aufgeht


Und ja: Ganz ohne Kombinatorik kommen wir nicht davon.


🎯 Die mindestens³-Aufgabe: Ein Klassiker mit Denkfalle


Nehmen wir ein klassisches Skatblatt mit 32 Karten, in dem sich genau vier Asse befinden.

Du darfst immer wieder eine Karte ziehen, jedes Mal zurücklegen und neu mischen – also ein klarer Fall von Ziehen mit Zurücklegen.


Die Frage lautet:


Wie oft musst du mindestens ziehen, damit du mit mindestens 90 % Wahrscheinlichkeit mindestens ein Ass erwischst?


Drei Mal „mindestens“ – und jedes einzelne davon entscheidet über das richtige Vorgehen.


Die meisten greifen hier vorschnell zum Taschenrechner und tippen irgendetwas mit „1 aus 8“ ein.

Aber das hilft nicht weiter, solange man die eigentliche Struktur der Aufgabe nicht erkennt:


  • Zufallsversuch mit zwei Ausgängen: Treffer (Ass) oder kein Treffer -> Die Zufallsgröße X zählt die gezogenen Asse.
  • Mehrere, unabhängige Wiederholungen: da wir jedes Mal neu mischen -> Bernoulli
  • Gesucht: die Wahrscheinlichkeit für mindestens einen Treffer


Genau das ist das Terrain der Binomialverteilung – aber nur, wenn man vorher einen Umweg geht:

über die Gegenwahrscheinlichkeit.

🔄 Warum wir besser mit der Gegenwahrscheinlichkeit rechnen

Wir sollen die Wahrscheinlichkeit berechnen, mindestens einmal ein Ass zu ziehen.
Aber: Wir wissen ja noch gar nicht , wie oft wir ziehen müssen. Also können wir auch nicht direkt mit der Binomialformel rechnen – denn dazu müssten wir vorher sagen:

  • „Ich ziehe genau 1-mal ein Ass“
  • oder „genau 2-mal“
  • oder „genau 3-mal“ usw.

Aber genau das wissen wir ja noch nicht – wir kennen weder n noch k . Und selbst wenn wir n geraten hätten, müssten wir für alle k = 1 bis n die Einzelwahrscheinlichkeiten berechnen und aufsummieren. Das ist viel zu aufwendig.

Darum gibt es einen klügeren Weg: Wir denken über die Gegenwahrscheinlichkeit nach.

Wenn ich wissen will, wie wahrscheinlich es ist, mindestens einmal zu treffen,
dann ist das Gegenteil davon: kein einziges Mal zu treffen.

Also schreiben wir:

P ( X 1 ) = 1 P ( X = 0 )

In der Aufgabe steht, dass die Trefferwahrscheinlichkeit mindestens 90 % betragen soll. Das ergibt:

1 P ( X = 0 ) 0.9

Und das stellen wir einfach um zu:

P ( X = 0 ) 0.1

Jetzt wissen wir, was wir ausrechnen müssen:
Die Wahrscheinlichkeit, überhaupt kein Ass zu ziehen.
Und dafür brauchen wir nur die Bernoulli-Formel – in der einfachsten Version.

Wir setzen also die Bernoulli-Formel für die Wahrscheinlichkeit ein, kein einziges Mal zu treffen – also P(X = 0). Bei einer Trefferwahrscheinlichkeit von p = 1⁄8 ergibt sich:

P ( X = 0 ) = ( n 0 ) ( 1 8 ) 0 ( 7 8 ) n

Die ersten beiden Faktoren sind leicht zu vereinfachen:

  • ( n 0 ) = 1, weil es nur einen Weg gibt, kein einziges Mal zu treffen
  • ( 1 8 ) 0 = 1, weil jede von null verschiedene Zahl hoch null gleich 1 ist

Es bleibt:

( 7 8 ) n 0.1

Um den Exponenten n auszurechnen, wenden wir auf beiden Seiten den Logarithmus an:

log ( ( 7 8 ) n ) log ( 0.1 )

Jetzt dürfen wir die Potenzregel anwenden:

log ( a n ) = n log ( a )

Das ergibt:

n log ( 7 8 ) log ( 0.1 )

Und jetzt wird es interessant: Der Logarithmus von 7 8 ist negativ. Das bedeutet: Wenn wir jetzt durch diesen Wert teilen, dreht sich das Ungleichheitszeichen.

Warum das so ist, sieht man am einfachsten an einem Zahlenbeispiel:

2 > 1 2 < 1

Beim Multiplizieren mit einer negativen Zahl kehrt sich die Aussage um – genau das passiert hier beim Teilen durch einen negativen Logarithmus.

Deshalb folgt:

n log ( 0.1 ) log ( 7 8 )
Selbst der einfachste Taschenrechner kann diesen Bruch in einem Rutsch ausrechnen:

n 17.24

Da man beim Kartenziehen nur ganze Versuche machen kann, folgt:

n 18

Ein „professioneller Kartenspieler“ – also jemand, der dich ganz legal abzocken will – würde dir genau folgende Wette anbieten:

„Ich wette, dass du bei 18-mal Ziehen mindestens ein Ass erwischst.“

Wenn du dich auf diese Wette einlässt, hast du eine rund 90 %ige Chance, deinen Wetteinsatz zu verlieren. Denn: Die Wahrscheinlichkeit, dass du kein Ass ziehst, liegt bei unter 10 %. Der „professionelle Kartenspieler“ gewinnt also 9 von 10 Wetten – ganz ohne zu schummeln.



Wie viele Asse muss der „professionelle Kartenspieler“ in das Kartenset "schmuggeln"?


Ein „professioneller“ Kartenspieler – nennen wir ihn ruhig: jemand, der dich über den Tisch ziehen will – bietet dir folgende Wette an:


Ich wette, dass du bei zehn Ziehungen mindestens ein Ass ziehst.


Er selbst entscheidet dabei, wie viele Asse im Kartenset enthalten sind. Du darfst zehnmal mit Zurücklegen ziehen.


Nun die Frage:


Wie viele Asse muss er in das Set legen, damit du mit mindestens 90 % Wahrscheinlichkeit mindestens einmal ein Ass ziehst?


Was ist gesucht?


Gesucht ist die Anzahl der Asse im Set – also die Trefferwahrscheinlichkeit p –, sodass bei n = 10 Ziehungen gilt:


P(X ≥ 1) ≥ 0,9


Wir wissen also:


  • Die Anzahl der Ziehungen beträgt 10.
  • Die Wahrscheinlichkeit für ein Ass (p) ist unbekannt.
  • Gesucht ist: Wie groß muss p sein, damit man mit 90 %iger Sicherheit mindestens ein Ass zieht?



Warum wir mit der Gegenwahrscheinlichkeit arbeiten


Jetzt kommt der Knackpunkt: Wir wissen weder, wie groß p ist, noch können wir die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer, zwei Treffer oder drei Treffer direkt berechnen – weil wir p ja gar nicht kennen.


Ein direkter Rechenweg über P(X ≥ 1) würde bedeuten, alle Einzelwahrscheinlichkeiten von X = 1 bis X = 10 ausrechnen zu müssen – mit unbekanntem p. Das funktioniert schlicht nicht.


Deshalb gehen wir über die Gegenwahrscheinlichkeit.



Warum Gegenwahrscheinlichkeit – in verständlich


Wenn wir wissen wollen, wie groß die Wahrscheinlichkeit für mindestens ein Ass ist, dann meinen wir damit:


eins oder zwei oder drei oder vier oder zehn.


Also: alles außer null.


Und genau diese „Null-Treffer“-Wahrscheinlichkeit ist der einzige Fall, den wir dabei nicht mitzählen.


Deshalb:


P(X ≥ 1) = 1 - P(X = 0)


Noch klarer erklärt: „Was bleibt übrig?“


Ich erkläre das gern so:


Wenn ich sage „mindestens ein Treffer“, dann meine ich: einen oder zwei oder drei oder ... 
Was ist also
nicht enthalten? Nur ein einziger Fall: keine Treffer.


Das ist die einzige Situation, die in der Ergebnismenge von X ≥ 1 nicht enthalten ist.

Und genau deshalb ist:


P(X ≥ 1) = 1 - P(X = 0)


Und weil das Ergebnis mindestens 90 % betragen soll, gilt:


P(X ≥ 1) ≥ 0,9


also


1 - P(X = 0) ≥ 0,9


und damit:


P(X = 0) < 0,1



Und genau das ist die Ungleichung, mit der wir jetzt weiterrechnen können.


Bernoulli-Formel in die Ungleichung einsetzen

Aus der Aufgabenstellung wissen wir:

P ( X = 0 ) < 0.1

Das setzen wir in die Bernoulli-Formel ein:

( 10 0 ) p 0 ( 1 p ) 10 < 0.1

Erklärung: Was bedeutet das?

  • Der Binomialkoeffizient ( 10 0 ) ist gleich 1, denn: Jede Zahl über 0 ergibt immer 1.
  • Formal ergibt sich das aus der Fakultätendefinition:
    n ! 0 ! n ! = 1
  • Oder anschaulich gedacht: Wenn ich keinen Treffer haben will, gibt es nur genau einen Pfad durchs Baumdiagramm – nämlich immer auf derselben Seite entlang.
  • Der Ausdruck p 0 ist ebenfalls 1, weil jede von null verschiedene Zahl hoch null gleich 1 ist.
  • ( 1 p ) 10 steht für: zehnmal keinen Treffer – also zehnmal „Nicht-Ass“.

Das hätten wir aber auch einfacher haben können:
Wenn man zehnmal hintereinander keinen Treffer haben will, dann hat man die Nicht-Treffer-Wahrscheinlichkeit hoch 10 – das ist die Pfadmultiplikationsregel.

Schritt 1: Zehnte Wurzel ziehen

Wir wollen wissen, bei welchem p diese Ungleichung gerade so nicht mehr erfüllt ist.

Jetzt ziehen wir die zehnte Wurzel – das ist mathematisch erlaubt, aber wir müssen dabei zwei Fälle berücksichtigen:

  • 1 - p < 0.1 ( 10 )

    (Fall A)

  • 1 - p > 0.1 ( 10 )

    (Fall B)

Der Grund: Eine gerade Wurzel kann formal zwei Lösungen haben – eine positive und eine negative. Deshalb tauchen bei Ungleichungen beide Fälle auf. Die eigentliche Wurzelfunktion selbst liefert aber nur die positive Lösung.

Schritt 2: Nach p umstellen

Fall A:

  1. 1 < p + 0.1 ( 10 )
  2. 1 0.1 ( 10 ) < p

Daraus ergibt sich:

p > 1 0.1 ( 10 )

Fall B:

  1. 1 > p 0.1 ( 10 )
  2. p < 1 + 0.1 ( 10 )

Schritt 3: Nur eine der beiden Lösungen ist sinnvoll

Wir setzen kurz Zahlen ein:

  • 0.1 ( 10 ) ≈ 0,794
  • Fall A: p > 0.206
  • Fall B: p < 1.794

Aber:
Wahrscheinlichkeiten dürfen nur Werte zwischen 0 und 1 annehmen.
Ein p > 1 ist nicht erlaubt, ein p < 1.794 sagt deshalb nichts aus.

→ Fall B scheidet aus – weil die Aussage zwar rechnerisch korrekt ist, aber außerhalb des Definitionsbereichs von Wahrscheinlichkeiten liegt.

Ergebnis

p > 1 0.1 ( 10 )

Näherungsweise: p > 0.206

Ergebnisbewertung: Wie viele Asse müssen ins Set?

Wir wissen: Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Zug ein Ass zu erwischen, muss größer als 0,206 sein. Und es gibt 32 Karten im Set.

Die Formel für die Trefferwahrscheinlichkeit lautet:

p = A 32

Wir setzen also:

A 32 > 0.206

Beide Seiten mal 32:

A > 6.592

Da die Anzahl der Asse eine ganze Zahl sein muss, brauchen wir mindestens:

A = 7 Asse

Fazit:
Um mit 10-fachem Ziehen mindestens ein Ass mit 90 % Wahrscheinlichkeit zu bekommen, braucht dein Kartenset mindestens 7 Asse bei 32 Karten. Weniger reichen nicht.

🎩 Ein letzter Tipp zum Schluss:


Wenn euch jemand diese Wette anbietet – zehnmal ziehen, mindestens ein Ass dabei –, dann zählt bitte erstmal die Asse im Set.

Wenn es mehr als 4 Asse sein sollten, liegt der Verdacht nahe, dass der Spielanbieter nicht ganz ehrlich spielt.


Es könnte eine gute Idee sein, sich auf dieses Spiel gar nicht erst einzulassen. Dieser Spieler gewinnt in 90 % der Fälle – und zwar euer Geld.



🤓 Aber euer Mathelehrer oder eure Mathelehrerin …


… würde euch auch an dieser Stelle nicht entkommen lassen. Sie würden sagen: „Das ist doch eine super Gelegenheit für eine weitere Aufgabe!“


Frage: "Wie müssten Einsatz und Auszahlung gewählt werden, damit es trotz dieser Bedingungen ein faires Spiel ist?"


🧮 Und noch ein Tipp ... dann ist aber Schluss:

Es gibt unzählige YouTube-Videos, die euch zeigen, wie ihr den Taschenrechner bei solchen Aufgaben richtig einsetzt – oft schneller und anschaulicher, als es ein Blogartikel leisten kann. Manche Erklärer dort machen das tatsächlich ziemlich gut.

Und wenn nicht: Immerhin freuen sie sich über jeden Klick. 😉


Transparenzhinweis:

Niemand hat hier die Absicht, weitere Aufgaben zu stellen … Ich versuche doch nur zu erklären. Übrigens musste ich ChatGPT erklären, wie der Binomialkoeffizient geschrieben wird. Gut, beim ganzen anderen Rest hat er ein bisschen geholfen. 😉