Richtig gerechnet und doch falsch?
„Erst denken, dann rechnen“ – Was der Matheunterricht von den Naturwissenschaften lernen kann

Ohne Struktur keine Substanz
In der Chemie wie in der Physik gilt:
Wer eine Aufgabe ohne Einheiten rechnet, hat sie nicht verstanden – und bekommt null Punkte. Punkt.
Das ist nicht nur eine Haltung – es ist in vielen Fällen die klare Anweisung der Dozenten an die betreuenden Assistenten.
Wird ohne Einheit gerechnet, wird die Aufgabe durchgestrichen. Keine Diskussion.
Das wirkt hart, ist aber notwendig.
Denn: Zahlen ohne Einheit sagen nichts aus.
Und Zahlen ohne Formelzusammenhang liefern kein Verständnis.
Was hingegen wirklich weiterhilft:
- Formeln miteinander verknüpfen
- Strukturen verallgemeinern
- Einheiten mitführen
- Und erst am Schluss die Zahlen einsetzen
1. Substanzmenge berechnen – aber richtig
Ein klassisches Beispiel aus der Chemie:
„Wie viel Gramm einer Substanz muss ich abwiegen, um eine bestimmte Molarität in einem bestimmten Volumen herzustellen?“
Viele lösen das rechnerisch so:
- Stoffmenge
- dann
- dann setzen sie Zahlen ein – bei jedem Schritt neu.
Das funktioniert – aber:
- Es ist umständlich.
- Es verhindert Verallgemeinerung.
- Es liefert kein Formelwerkzeug für spätere Aufgaben.
Besser:
Man kombiniert die beiden bekannten Gleichungen:
und
Setze gleich:
Formel nach der gesuchten Masse umstellen:
Fertig ist die Masterformel – sie funktioniert immer, wenn man Molarität, Volumen und molare Masse kennt.
Das ist strukturiertes Denken – kein Zahlenschubserei.
Und das ist etwas, das man nicht mehr sieht, wenn man zu früh Zahlen einsetzt.
Dass die Gleichung so richtig ist, können wir sogar intuitiv erfassen – gerade weil wir sie ohne Zahlen betrachten.
Die molare Masse ist eine Stoffkonstante. Und in der Chemie nennen wir Konstanten auch wirklich so – weil sie sich typischerweise nicht ändern. Da sind wir recht konsequent.
Aber jetzt wieder ernst:
- Wenn ich die Konzentration erhöhe, brauche ich bei gleichem Volumen mehr Substanzmasse .
- Wenn ich das Volumen erhöhe, brauche ich bei gleicher Konzentration ebenfalls mehr Substanzmasse.
Das ist nicht nur logisch – das lässt sich direkt
aus der Gleichung ablesen.
Genau das passiert, wenn man mit Formeln denkt
– statt nur zu rechnen.
2. Einheiten sichern das Denken ab
Ein riesiger Vorteil des strukturierten Arbeitens: Einheiten wirken wie eine eingebaute Fehlerkontrolle.
Die Masterformel lautete:
Zur Kontrolle der Einheiten:
Passt. Ergibt Gramm. Funktioniert.
Einheiten sind keine Nebensache – sie sind Kontrollinstanz.
Entsteht aus der Einheitenbetrachtung nicht die richtige Einheit, ist das Ergebnis falsch. Punkt.
→ Neu denken!
Dass diese Kontrolle im Schulalltag oft fehlt, zeigt ein typisches Beispiel aus der Mathematik:
Ein Aquarium hat die Maße:
Breite = 1,2 Meter, Tiefe = 4 Dezimeter, Höhe = 80 Zentimeter.
Prima – einfache Rechnung, oder?
Was jetzt im Mathematikunterricht (und ich gestehen, manchmal auch bei mir) passiert, ist Folgendes:
- Alle Maße werden erstmal auf eine gemeinsame Einheit gebracht – z. B. alles in Dezimeter.
- Dann wird gerechnet: 1,2 × 0,4 × 0,8 = 0,384
- Am Ende: „Einheit? Ach so, ja – Meter hoch drei. Also Kubikmeter. Und in Liter?“
Bestenfalls.
Aber während der Rechnung? Keine Einheit weit und breit.
Man geht davon aus, dass das irgendwie schon stimmen wird – solange die Zahlen stimmen.
Nur: Ohne Einheiten weiß niemand, was da überhaupt berechnet wird.
Ob Liter, Kubikmeter oder irgendwas dazwischen – man sieht es nicht.
Wer mit Einheiten rechnet, denkt in Zusammenhängen.
Wer sie ignoriert, rechnet im Blindflug.
3. Denken in Zusammenhängen – am Beispiel der Gasgleichung
Ein Paradebeispiel für strukturelles Denken ist die ideale Gasgleichung:
Die Gaskonstante
ist – wie der Name schon sagt – konstant.
Wenn zusätzlich
(Stoffmenge) und
(Temperatur) konstant bleiben, folgt:
Das heißt: Druck und Volumen verhalten sich umgekehrt proportional.
Wenn ich also den Druck erhöhe, muss das Volumen sinken – und umgekehrt.
- Je größer der Druck, desto kleiner das Volumen.
- Je kleiner der Druck, desto größer das Volumen.
Diese Erkenntnis ist nicht neu – sie nennt sich übrigens das Boyle-Mariottesche Gesetz.
Und sie ist direkt aus der Gleichung ableitbar
– ohne Zahlen, rein strukturell.
Wer die Gleichung versteht, kann damit denken, nicht nur rechnen.
Und genau das fehlt oft im Mathematikunterricht:
Formeln werden benutzt – aber nicht begriffen.
Man kann damit sogar Vorhersagen treffen:
Was passiert mit dem Volumen, wenn ich bei konstanter Temperatur die Stoffmenge erhöhe?
Oder was passiert mit dem Druck, wenn ich bei konstantem Volumen die Temperatur erhöhe?
Auch das lässt sich direkt an der Struktur der Gleichung ablesen – ohne Rechenschritte, rein logisch.
Zwischenspiel: „Ich mache doch nur Multiple Choice …“
Ein Satz, den ich oft höre, wenn ich Studierende betreue:
„Ich mache doch nur Multiple Choice. Muss ich da wirklich mit Einheiten rechnen?“
Und die Antwort ist:
Mit Sicherheit!
Denn bei Multiple-Choice-Aufgaben machen die Dozenten genau Folgendes:
Angenommen, dein korrektes Ergebnis aus der Gasgleichung ist 2,0 Liter.
Dann stehen zur Auswahl:
- 2,0 m³
- 0,020 l
- 2,0 ml
- 2,0 l
Nur eine dieser Antworten ist korrekt – und alle enthalten eine „2“, nur in unterschiedlichen Einheiten.
Wer seine Rechnung ohne Einheit
durchführt, bleibt am Ende ratlos:
„Ich hab ’ne Zwei raus – aber was genau soll ich jetzt ankreuzen?“
Dann ist das keine Wissensfrage mehr, sondern schlicht Raten.
Und das lässt sich ganz einfach vermeiden – mit Einheiten.
Immer. Auch bei Multiple Choice.
4. Fazit: Rechnen ist gut – Denken ist besser
Was die Chemie und Physik täglich vormachen, könnte auch der Mathematikunterricht konsequenter einfordern:
- Formeln kombinieren, um sie besser zu verstehen
- Einheiten mitführen, um Ergebnisse zu prüfen
- Zahlen erst am Ende einsetzen, um Denkprozesse nicht zu blockieren
Denn:
Wer zuerst die Formelstruktur erfasst, kann sie flexibel anwenden – unabhängig vom konkreten Zahlenwert.
Wer Einheiten mitrechnet, erkennt sofort, ob das Ergebnis plausibel ist.
Und wer qualitative Zusammenhänge in einer Gleichung sieht, kann damit denken – nicht nur rechnen.
Je klarer das Formelgebäude, desto leichter der Rechenweg.
Je bewusster der Umgang mit Einheiten, desto sicherer das Ergebnis.
Je später die Zahlen kommen, desto mehr bleibt vom Verständnis.
Diese Haltung vermittle ich auch in meiner eigenen Nachhilfe:
- In der Mathe-Nachhilfe für Schüler arbeite ich Schritt für Schritt daran, diese Denkweise stärker zu verankern – und fordere das auch konsequent ein.
- In der Chemie-Nachhilfe setze ich sie ganz selbstverständlich um –
- sowohl auf der Seite Chemie für Medizinstudierende, als auch Chemie für Studierende anderer Fachrichtungen.
🧾 Nachtrag: Ein Rechenfehler – und warum er passiert ist
Beim ersten Entwurf dieses Artikels wurde die Volumenberechnung für das Aquarium im Beispiel tatsächlich fehlerhaft durchgeführt. Die Zahlen sahen plausibel aus – aber die Einheiten wurden absichtlich nicht berücksichtigt.
Das Ergebnis der Rechnung: Das Ergebnis ist falsch.
🔻 Die ursprüngliche (falsche) Rechnung:
Gegeben:
Breite = 1,2 m
Tiefe = 4 dm
Höhe = 80 cm
Rechenweg (verkürzt, ohne Einheiten):
1,2 × 4 × 8 = 38,4
→ Ergebnis: 38,4 – aber wovon?
→ Ohne Einheiten ist der gemachte Fehler unnötig schwer erkennbar.
→ Und rechnerisch ist es falsch: 1,2 m sind nicht 1,2 dm.
✅ Die korrigierte (richtige) Rechnung:
Einheiten vereinheitlichen:
1,2 m = 12 dm
80 cm = 8 dm
Dann:
1,2 m × 0,4 m × 0,8 m = 0,384 m³ = 384 Liter
oder
12 dm × 4 dm × 8 dm = 384 dm³ = 384 Liter
💡 Erkenntnis:
Der Fehler wurde nicht durch Nachrechnen, sondern durch die Einheitenkontrolle entdeckt und behoben.
Genau darum geht es in diesem Blog:
Wer ohne Einheiten rechnet, rechnet möglicherweise formal richtig – aber kommt trotzdem zum falschen Ergebnis.
Einheiten helfen nicht nur beim Verstehen – sie verhindern Fehler, die sonst leicht übersehen werden.
Niemand hat die Absicht, das Internet mit Blog-Artikeln zu fluten. Aber ich hatte eine Idee. Und einen Co-Autor: ChatGPT.
Und ein bisschen Zeit. Also haben wir den Artikel erstellt.