Chemisches Gleichgewicht: Nur Produkt durch Edukt?
Können Moleküle rechnen?

🧪 Wie machen die das bloß?
Sie haben keine Augen. Keine Ohren. Keine Gehirne. Und ganz sicher keine Taschenrechner.
Trotzdem schaffen es Moleküle, sich auf ein ganz bestimmtes Mengenverhältnis einzupendeln – zuverlässig, berechenbar, reproduzierbar.
In jeder Gleichgewichtsreaktion, die du in der Schule kennenlernst, passiert etwas Erstaunliches:
Die Moleküle scheinen rechnen zu können.
Nicht weil sie Zahlen lieben. Sondern weil sie Naturgesetzen folgen.
⚖️ Die unsichtbare Waage
Stell dir vor, zwischen Edukten und Produkten steht eine unsichtbare Waage.
Diese Waage zeigt an, wie weit eine Reaktion „aus der Balance“ geraten ist. Und sie zwingt das System, nachzuregulieren – so lange, bis das Gleichgewicht wieder stimmt.
Was „stimmt“, ist dabei mathematisch definiert: durch das Massenwirkungsgesetz.
🧮 Und warum klappt das immer?
Nicht weil die Moleküle rechnen.
Nicht weil sie ein Ziel verfolgen.
Sondern weil sie gar keine Wahl haben.
Naturgesetze sind keine Vorschläge.
Sie gelten. Immer!
Moleküle folgen ihnen nicht aus Überzeugung – sondern weil es schlicht keine Alternative gibt.
Deshalb pendeln sich Reaktionen in einem genau berechenbaren Gleichgewicht ein.
Und das, was sie dabei „rechnen“, ist das Massenwirkungsgesetz.
Das schauen wir uns jetzt gemeinsam an.
2. Das Massenwirkungsgesetz – ganz kurz erklärt
Wenn Chemiker über Gleichgewichte sprechen, meinen sie etwas ganz Präzises:
Ein chemisches System, in dem Hin- und Rückreaktion gleichzeitig ablaufen – und sich dabei die Konzentrationen nicht mehr ändern, weil sich beide Reaktionen genau die Waage halten.
⚖️ Gleichgewicht ≠ Stillstand
Wenn wir nur messen, scheint nichts mehr zu passieren:
Die Konzentrationen bleiben konstant.
Das System wirkt ruhig – als wäre es zur Ruhe gekommen.
Aber wenn wir die Moleküle beobachten könnten, würden wir sehen, dass ständig etwas passiert:
- Edukte reagieren zu Produkten.
- Produkte spalten sich wieder zurück zu Edukten.
- Das geht gleichzeitig – in beide Richtungen.
- Nur: Beide Geschwindigkeiten sind gleich groß.
So entsteht ein dynamisches Gleichgewicht: Die Moleküle reagieren, aber das Mengenverhältnis bleibt stabil.
📏 Das Massenwirkungsgesetz (MWG)
Für eine Reaktion der Form:
lautet die Gleichgewichtsbedingung:
- Die eckigen Klammern stehen für die Konzentration der Stoffe im Gleichgewicht.
- a, b, x, y sind die stöchiometrischen Koeffizienten.
- K ist die Gleichgewichtskonstante, temperaturabhängig, aber immer gleich – solange die Temperatur konstant bleibt.
🔁 Was passiert bei einer Störung des Gleichgewichts?
Wenn wir zum Beispiel plötzlich mehr von einem Edukt (A oder B) ins System geben, dann verändert sich der sogenannte Massenwirkungsquotient:
Dieser Q beschreibt den aktuellen Zustand des Systems. Er kann sich vom Gleichgewicht unterscheiden – etwa durch Zugabe oder Entnahme von Stoffen.
Jetzt wird es spannend:
- Wenn Q < K, dann heißt das:
- Der Zähler (Produkte) ist im Verhältnis zu klein.
- Der Nenner (Edukte) ist zu groß.
- Das System reagiert darauf, indem mehr Produkte gebildet werden.
- Dadurch steigen die Produkt-Konzentrationen – Q wird größer, bis Q = K.
- Wenn Q > K, dann:
- Der Zähler ist zu groß (zu viele Produkte).
- Das System reagiert mit der Rückreaktion – es bildet wieder Edukte.
- So sinkt Q wieder – bis es zu K passt.
Diese „Entscheidung“ trifft natürlich kein Molekül bewusst –
aber alle zusammen führen durch ihre Reaktionsgeschwindigkeiten dazu, dass das Verhältnis wieder stimmt.
Moleküle rechnen also nicht – aber der Gedanke könnte einem schon kommen.
Im nächsten Schritt schauen wir uns an, wie man diese Gleichgewichtsbedingung konkret mit Zahlen aufstellt – und was passiert, wenn man ein Edukt im Überschuss einsetzt.
Einleitung zum Rechenbeispiel
Jetzt wird es konkret.
Wir nehmen ein Beispiel, das oft im Unterricht vorkommt – und sich hervorragend eignet, um das Massenwirkungsgesetz einmal richtig durchzurechnen:
Die Veresterung einer Carbonsäure mit einem Alkohol.
Die Reaktionsgleichung lautet:
Oder kürzer gesagt:
Säure + Alkohol ⇌ Ester + Wasser
Die zugehörige Gleichgewichtsbedingung lautet – und hier ist wichtig: bitte immer den gesamten Nenner in Klammern setzen, sonst ist die Aussage mathematisch falsch:
Einführung der Variablen und Umsatzidee
Wir nehmen für unser Beispiel eine beispielhafte Gleichgewichtskonstante:
K = 4 bei 25 °C (298 K)
Nun wollen wir berechnen, wie viel Produkt sich im Gleichgewicht bildet. Dafür führen wir Variablen ein:
- Anfangskonzentration Alkohol: a
- Anfangskonzentration Säure: b
- Umsatz: x (so viel mol pro Liter reagieren um)
Im Gleichgewicht gilt dann:
Einsetzen ins Massenwirkungsgesetz
Wenn wir diese Konzentrationen in das Massenwirkungsgesetz einsetzen, ergibt sich:
📐 Rechenweg (optional): Wie wir zur Gleichung kommen
Falls du dich fragst, wie genau wir von der Reaktionsgleichung zur p-q-fähigen Umsatzformel kommen – hier sind die Schritte.
Aber keine Sorge: Du musst
das nicht im Detail verstehen, um das Ergebnis zu nutzen.
Wir verwenden die Formel gleich im Programm – und du kannst sie einfach ausprobieren, unter verschiedenen Anfangsbedingungen.
Jetzt wissen wir, wie die allgemeine Gleichung aussieht.
Aber was bedeutet das konkret? Wie viel Produkt entsteht tatsächlich – und wie stark beeinflusst ein Überschuss die Ausbeute?
Wenn wir das vereinfachen, ergibt sich:
Ein Beispiel – jetzt rechnen wir zu Ende
Wir hatten folgende Startbedingungen eingesetzt:
- Alkohol: a = 1 mol/L
- Säure: b = 10 mol/L
- Gleichgewichtskonstante: K = 4
Daraus ergab sich – nach dem Einsetzen ins Massenwirkungsgesetz – folgende Gleichung:
Die Gleichung normalisieren
Damit wir die pq-Formel anwenden können, teilen wir durch −3 :
Lösen mit der pq-Formel
Mit dem Taschenrechner erhalten wir zwei Lösungen:
- x₁ ≈ 0,974
- x₂ ≈ 13,693
Welche Lösung ist sinnvoll?
Beide sind mathematisch korrekt – aber nur eine davon ergibt chemisch Sinn:
- x₁ ≈ 0,974 → sinnvoll: weniger als 1 mol Alkohol reagiert → beide Edukte bleiben teilweise erhalten
- x₂ ≈ 13,693 → nicht sinnvoll: es würden mehr als 10 mol Säure verbraucht → Konzentration negativ → keine reale Umsetzung möglich
Merksatz
Nur solche Lösungen sind sinnvoll, bei denen keine Konzentration negativ wird.
Technik-Tipp
Übrigens: Die meisten modernen Taschenrechner haben einen eingebauten Gleichungslöser – dort kannst du die Gleichung direkt eingeben und bekommst beide Lösungen angezeigt.
🔍 Und jetzt: Teste, was wirklich „viel“ bringt
Wir haben gemeinsam hergeleitet, wie das Massenwirkungsgesetz funktioniert – und was es mit dem Eduktüberschuss auf sich hat.
Aber mal ehrlich:
Die spannende Frage ist doch nicht, ob man das theoretisch rechnen kann, sondern:
Wie viel Produkt bekommst du am Ende wirklich raus?
Und genau das zeigt dir jetzt unser kleines Programm.
Es rechnet im Hintergrund mit genau der Gleichung, die wir eben aufgebaut haben – aber du musst keinen einzigen Term mehr anfassen.
Gib einfach an:
- Mit welchen Konzentrationen willst du starten?
- Welches Edukt setzt du im Überschuss ein?
- Und welche Konzentrationen liegen "nach der Reaktion" im Gleichgewicht vor?
🔎 Welche Lösung ist die richtige?
Die quadratische Gleichung, die wir aufgestellt haben, liefert beim Lösen meist zwei Ergebnisse – das ist ganz normal. Aber: Nur eine dieser Lösungen ist auch chemisch sinnvoll.
Hier sind die Kriterien, mit denen du entscheiden kannst:
- ✅ x muss positiv sein: Es kann kein negativer Umsatz entstehen.
- ✅ x darf nicht größer sein als der kleinste Anfangswert: Man kann nicht mehr umsetzen, als vorhanden war.
- ✅ x sollte zur Reaktionsgleichung passen: Du kannst im Zweifel beide Lösungen einsetzen – nur die „richtige“ macht die Gleichung wahr.
Wenn du diese Regeln beachtest, erkennst du die passende Lösung ganz einfach – und weißt auch, warum du die andere verwerfen darfst.
🧪 Starte dein erstes Gleichgewichtsexperiment
Jetzt bist du dran.
Mit dem folgenden Tool kannst du selbst ausprobieren, wie sich unterschiedliche Startbedingungen auf das Gleichgewicht auswirken.
Gib einfach an:
- Mit welchen Konzentrationen du starten möchtest
- Welches Edukt du im Überschuss einsetzen willst
- Und welche Konzentrationen „nach der Reaktion“ im Gleichgewicht vorliegen
Der Rechner zeigt dir sofort, wie sich das Gleichgewicht einstellt – ganz ohne Taschenrechner, aber mit dem vollen mathematischen Hintergrund.
Gleichgewichtsrechner
Was du jetzt damit machen kannst
Du hast gesehen, wie sich die Gleichgewichtszusammensetzung berechnen lässt. Mit dem Tool oben kannst du nun beliebige Konzentrationen ausprobieren – und sehen, wie sich das chemische Gleichgewicht einstellt.
Die folgenden Aufgaben helfen dir dabei, typische Szenarien zu verstehen, zu vergleichen und selbst zu durchdenken.
Aufgaben zum chemischen Gleichgewicht
A1.
Starte mit jeweils 1 mol/L Alkohol und 1 mol/L Säure.
Was beobachtest du im Gleichgewicht? Welche Mengen bleiben übrig?
A2.
Starte mit 1 mol/L Alkohol und 10 mol/L Säure.
Wie unterscheiden sich die Werte vom ersten Versuch?
A3.
Vertausche die Werte aus A2: 10 mol/L Alkohol und 1 mol/L Säure.
Was fällt dir im Vergleich auf?
B1.
Berechne die Gleichgewichtszusammensetzung für folgende Kombinationen:
- 1 mol/L Alkohol, 1 mol/L Säure
- 10 mol/L Alkohol, 1 mol/L Säure
- 100 mol/L Alkohol, 1 mol/L Säure
- 1000 mol/L Alkohol, 1 mol/L Säure
Was fällt dir beim Vergleich der Ergebnisse auf – insbesondere mit Blick auf die Restmenge an Säure?
C1. Warum wird selbst bei einem riesigen Überschuss eines Edukts das andere nie vollständig umgesetzt?
C2.
Finde Startwerte (ganze mol/L), bei denen im Gleichgewicht etwa 0.5 mol/L Alkohol übrig bleiben.
Es genügt, verschiedene Werte auszuprobieren und zu beobachten.
D1.
Welche Startbedingungen musst du wählen, um etwa 90 % des Alkohols umzusetzen?
Tipp: Experimentiere mit verschiedenen Mengen an Säure.
Le Chatelier – mal nachgerechnet
Das Prinzip von Le Chatelier beschreibt, wie ein chemisches Gleichgewicht auf äußere Störungen reagiert – etwa durch Konzentrationsänderungen, Temperatur oder Druck.
Im Fokus dieses Beitrags steht die klassische Konzentrationsbeeinflussung: Wird ein Edukt im Überschuss eingesetzt, verschiebt sich das Gleichgewicht – mehr Produkt entsteht.
Andere Einflussgrößen, wie Druck oder Temperatur, spielen bei einer Veresterung im Lösungsmittel keine entscheidende Rolle. Und auf temperaturbedingte Gleichgewichtsverschiebungen gehen wir hier bewusst nicht ein.
Stattdessen rechnen wir nach, was Le Chatelier in diesem Fall konkret bedeutet – und wie viel „mehr“ ein Überschuss wirklich bringt.
Was du aus dem Gleichgewicht mitnehmen kannst
Das Massenwirkungsgesetz ist keine trockene Formel – sondern ein präzises Werkzeug, um chemische Reaktionen zu verstehen und vorauszuberechnen.
Du hast gesehen, wie sich Eduktüberschüsse auswirken, wie man aus Reaktionsgleichungen das Massenwirkungsgesetz aufstellt, löst und interpretiert – und warum die richtige Auswahl der Lösung genauso wichtig ist wie das Rechnen selbst.
Ob im Unterricht, in der Vorbereitung auf Prüfungen oder einfach aus Neugier: Hier wird gezeigt, dass Chemie und Mathematik gemeinsam mehr können als viele denken.
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Transparenzhinweis:
Niemand hat die Absicht, sich seine Blogartikel mit ChatGPT erstellen zu lassen. Aber programmieren kann ich eben nicht so gut – dafür verstehe ich was von Chemie.